Wer bin ich…

…und wenn ja wie viele? ist nicht nur ein Buch von Herrn Precht aus dem Jahre 2007, sondern auch ein Zitat aus dem Film RobbyKallePaul aus dem Jahre 1989.

Während Prechts Buch mein Interesse nicht wecken konnte (vielleicht ärgerte mich damals schon, dass eins meiner Lieblingszitate plötzlich auf einem Bestseller an jeder Ecke zu lesen war), war es beim ersten Hören im Kino um mich geschehen. „Wer bin ich und wenn ja wie viele?“ Dieser Satz sollte ein ständiger Begleiter werden. Nicht nur für mich. Meine Tante Fine war ebenfalls begeistert. Nicht, dass in unserer Familie Multiple Persönlichkeiten als Krankheitsbild hervorstechend gewesen wären. Tante Fine begeisterte der Gedanke jeden Tag eine andere sein zu können. Nicht dass sie es gewesen wäre. Meine Tante ist aus meiner Sicht eine der beständigsten Persönlichkeiten, die ich kenne. Sie regt sich über Politik auf, verhätschelt ihre Enkel, Nichten und Neffen und besteht nachmittags auf eine Tasse Kaffee. Keine Gemütsschwankungen, keine Überraschungen. Als ich sie mit meinen bahnbrechenden Beobachtungen konfrontierte, konterte sie, dass es nicht darum ging was IST, sondern um das was SEIN KÖNNTE. Hier geht es um die Möglichkeit in den Gedanken, sagte sie. In Gedanken sei so viel möglich. Sie faszinierte phantastische Möglichkeit, unentdeckten Persönlichkeitsanteilen nachzuspüren und diese zu reanimieren. Wobei in dem Zusammenhang die Wiederbelebung irreführend sein könnte. Ich weiß nicht, ob Tante Fine jemals eine Femme fatale gewesen ist, die es wieder zu beleben galt. Sollte ich es schaffen, alle meine mutigen Anteile gleichzeitig versammeln zu können, werde ich Tante Fine dazu befragen.

Fragen hatte ich auch, nachdem ich das erste Mal das Zitat gehört hatte. Jung, wie ich damals war, verstand ich den Satz ganz anders. Nicht die gedanklichen Möglichkeiten standen im Vordergrund, sondern das was alles in mir tatsächlich da war. Und das war so einiges: Der tägliche Kampf um einen ausgewogenen Gemütszustand, der sich nur widerwillig bei mir heimisch fühlen wollte. Die Frage, welches ICH heute Oberwasser gewinnen würde und welche Auswirkungen dies auf meine Gelassenheit erwarten ließ. Welche Möglichkeiten würden mir heute durch ein unpassendes ICH Wiederwahl entgehen? Entgegen Tante Fines Durchspielen der mannigfaltigen Möglichkeiten, entdeckte ich mit Hilfe dieses Satzes, dass ich täglich den Kampf ums entscheidende ICH kämpfte. Dabei hätte ich gerne mehr mitentschieden. Meistens fehlte dafür das passende ich, weil es sich wieder mal in der falschen Kopfnische herumdrücken musste.

Als ich mich mit Tante Fine darüber austauschte, meinte sie, dass ich mich darüber freuen sollte, dass ich so ICHS zur Verfügung hätte! Was für Möglichkeiten mir das offenbarte! Mein Freude war verhalten – bis jetzt hatte ich es nicht als Ressource empfunden täglich ungebetene Persönlichkeitsanteile in die Flucht zu schlagen. Tante Fine ist sich sicher, dass ich das schnellstmöglich ändern sollte. Denn nicht mehr lange, dann entscheidet das Alter endgültig über meine ICHS – da bleiben nicht viele Persönlichkeitsanteile übrig.

Tante Fine kann sehr überzeugend sein.

Wer bin ich…
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